26.04.2023

Klassische Musik in Südkorea: eine Erfolgsgeschichte

Das Orchester bei der Anspielprobe in Busan zum Auftakt der Tournee.
© Jean-Pierre Fellmer

Ungeteilte Aufmerksamkeit, überschwänglicher Applaus: Die Bremer Philharmoniker erfahren auf ihrer Tournee, wie stark das Interesse, wie groß die Neugierde an der klassischen Musik ist. Aber nicht nur beim Zuhören sind die Südkoreaner klasse: Das Land hat in den vergangenen Jahrzehnten viele ausgezeichnete südkoreanische Musiker hervorgebracht. Sie studieren an internationalen Hochschulen, spielen in den besten Orchestern der Welt und gewinnen die meisten Preise. Doch woher kommt das Interesse in Südkorea und im asiatischen Raum am europäischen Kulturgut, das vermeintlich fremd und oft auch alt ist?

Der Violinist und Dirigent Min Kim hat wie viele andere Musiker aus Südkorea seine Ausbildung in der Heimat begonnen und ist dann in die Welt gezogen. Er spielte unter anderem beim Radio Symphonie Orchester Berlin und dem Bayreuther Festivalorchester. In einem Interview mit dem Goethe-Institut berichtet er, dass er 1970 zum Studium nach Hamburg kam. Damals sei er noch der einzige südkoreanische Student gewesen. Mittlerweile ist Südkorea eine der am stärksten vertretenen Nationen an deutschen Musikhochschulen. Kim erläutert den Grund: Nach dem Koreakrieg (1950-1953) hatte sich Südkorea stark an den USA orientiert, auch beim Bildungswesen. Doch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung habe sich das Bewusstsein geändert. Viele Südkoreaner schauten stärker nach Europa. Man habe verstanden: Die klassische Musik komme aus Deutschland – es sei das eigentliche Original.

Der Wunsch nach dieser Originalität spiegelt sich auch im Programm der Südkorea-Tournee der Bremer Philharmoniker wider. Spielte das Orchester beim 9. Philharmonischen Konzert noch ein Stück der bedeutenden zeitgenössischen Komponistin Unsuk Chin, so steht in Fernost ein drittes Mal Brahms auf dem Programm.

Doch die Ursprünge der klassischen Musik in Südkorea sind schon eher, nämlich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu finden, sagt Dr. Wolfgang Fink, Intendant der Bremer Philharmoniker. Südkorea wurde über Jahrzehnte von Japan besetzt, die Unterdrückung der Bevölkerung könne man sich als Europäer kaum ausmalen, sagt Fink. Und trotz der Gräueltaten gegenüber den Koreanern war Japan in gewisser Weise auch Vorbild für Südkorea. In Japan habe das Interesse an der klassischen Musik schon früher eingesetzt, nämlich am Anfang des 20. Jahrhunderts, sagt Fink. Und das Seoul Philharmonic Orchestra wurde schon 1948 gegründet.

Ein weiter Grund, für den Erfolg der klassischen Musik in der leistungsorientierten koreanischen Gesellschaft: "Die Musik ist ein starkes Distinktionsmerkmal", sagt Fink: ein Weg, um Status zu demonstrieren. Von dieser gesellschaftlichen Entwicklung berichtet auch Jihye Seo-Georg, Violinisten bei den Bremer Philharmonikern mit südkoreanischen Wurzeln. Instrumentalunterricht sei in Südkorea teuer, mehr noch als in Deutschland. Das Musizieren ist also auch ein Zeichen des Wohlstands.

Trotz der Funktion der Abgrenzung sei klassische Musik nicht nur privilegierten Südkoreanern vorbehalten, sagt Fink. So berichtet Jochen Ohngemach, Flötist, von einer Taxifahrt auf seiner Erkundungsreise in Seoul am Montag. Ihm habe nicht nur der Fahrstil des Taxifahrers gefallen, er war auch von seiner Musikwahl überrascht. Denn im Radio liefen Aufnahmen der berühmten Sängerin Elisabeth Schwarzkopf (1915-2006). Sie kamen ins Gespräch, der Taxifahrer höre gerne klassische Musik und habe sich über den philharmonischen Besuch in seinem Wagen gefreut. In Deutschland hat Ohngemach das so noch nicht erlebt, sagt er.

Mittlerweile können die Europäer auch von den Asiaten lernen, sagt Fink – nämlich die Weise, wie die Südkoreaner ihre Konzerte präsentieren. Deutsche Konzertsäle seien oft schlecht beleuchtet, wirkten fahl, die Inszenierung sei einfallslos. In Südkorea vermittelten die Konzerte fast das Gefühl als säße man im Kino: Der Saal wird dunkel, auf der Bühne geht das Licht an, die Musiker kommen rein – wie im Film, sagt Fink. So könnten sich auch Menschen begeistern lassen, die nur selten ins Konzert gehen. "Das spricht die Sinne viel mehr an." Das Publikum müsse sich natürlich trotzdem auf die Musik einlassen, es geben eine Schwelle zu überschreiten. Immerhin habe man nichts vom Konzert, wenn man nicht still sitzt und konzentriert zuhört, sagt Fink. Im Kino sei das nicht anders. Doch in Südkorea mache es man dem Publikum mit dieser Atmosphäre leichter, die Schwelle zu überwinden. Mit einer Atmosphäre, die das Publikum einlädt.

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